Die Verteidigung der allegorischen Exegese bei dem Neuplatoniker Proklos
In der europäischen Geistesgeschichte war die allegorische Exegese eine der einflussreichsten Interpretationsmethoden. Aus heutiger Sicht allerdings erscheint sie problematisch, weil sie Dichter zu sophistischen Philosophen macht, die ihre Gedanken aus irgendwelchen Gründen nur symbolisch ausdrückten. Antike Autoren beschäftigten sich kaum mit diesem Problem, und erst im 5. Jahrhundert unternahm der Neuplatoniker Proklos es, eine gründliche Verteidigung der allegorischen Exegese zu verfassen. Seiner Ansicht nach begreift eine inspirierte Dichtung die Wirklichkeit weit einheitlicher und unmittelbarer als die Philosophie. Die philosophische Interpretation eines poetischen Symbols setzt dabei nicht voraus, dass auch der Dichter philosophisch dachte. Es ist eher der Versuch, auf der Ebene der Rationalität und der sinnvollen Analogie zu entdecken, was das Gedicht auf höhere und nicht rationale Weise sagt. Das Ziel von Proklos’ allegorischer Exegese war nicht, das poetische Symbol auf einen Gedanken zu reduzieren, sondern das rationale Denken in Harmonie damit zu bringen. Besonders betrachtet der Aufsatz seine subtile Theorie der Symbole, die es ihm ermöglichte, die mimetische Konzeption der Kunst zu überwinden und auch solche Aspekte der griechischen Dichtung zu würdigen, die als skandalös betrachtet wurden.
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