Spinozas "Theologisch-politischer Traktat": geschichtliche und vergleichende Studien
Ein Werk zu verstehen, bedeutet es als Kreuzungspunkt dreier verschiedener Zusammenhänge wahrzunehmen: im Kontext der Zeit, in der es entstanden ist, im Kontext anderer Werke, die einer ähnlichen Thematik gewidmet sind, sowie im Kontext weiterer Werke dieses Autors. Allen drei Ebenen Beachtung zu schenken, ist umso wichtiger, wenn es sich um ein so augenscheinlich polemisches Werk handelt, wie es Spinozas Theologisch-politischer Traktat ist. Spinoza stellt sich darin auf die Seite der liberalen Republikaner, setzt aber gleichzeitig Gedanken an Gleichheit und Demokratie durch, welche für sie viel zu verwegen sind. Er verteidigt also in einer politisch angespannten Zeit ihre Sache, akzeptiert aber nicht ihre Argumente. Dieselbe Strategie lässt sich auf ideologischer Ebene verfolgen. Spinoza übernimmt zur Beschreibung der gesellschaftlichen Genese den Wortschatz von Hobbes und der Theoretiker der Gesellschaftsverträge, bemüht sich allerdings gleichzeitig um den Nachweis, dass solch eine Beschreibung in Wirklichkeit den wahren Charakter von Recht und Kraft in der Gesellschaft verdeckt. Das Recht ist nämlich für Spinoza mitnichten das Recht eines Souveräns (jus/potestas), sondern die Kraft eines jeden Individuums, ob nun als Einzelwesen oder Staat - jus ist für Spinoza das gleiche wie potentia. Die Theorie der Souveränität ersetzt Spinoza durch eine Analyse der Macht. Und weil die Begriffe potentia und jus auch zentral für die Ethik stehen, in welcher potentia die Hauptrolle für die Sinneingrenzung des Terminus essentia spielt und wo sich Freiheit als Autonomie definiert (esse sui juris), ist es offensichtlich, dass man ein Werk nicht ohne das andere lesen kann, dass also zwischen Philosophie und Politik kein wesentlicher Unterschied besteht. In beiden Texten entwickelt Spinoza dieselbe politische Ontologie der Macht.
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