Zeit und Mythos

Milan Balabán

Der Mythos stellt keine Weltachse oder Weltordnung dar, vielmehr geht es um eine Erzählung (story), einen Bericht oder einen Appell. Die Zeit ist das, was präsent ist bzw. als präsent in einem Ritus oder auch in einem profanen menschlichen Leben wieder ent-deckt wird. Unrichtig ist die Vorstellung, daß sich der Mythos prinzipiell in einem Kreislauf bewegt, während die Zeit stets linear verlaufe. Durch einen konkreten Ritus aktualisiert, findet der Mythos Eingang in unseren menschlichen Lebensraum und bringt in Erinnerung, daß hier gewisse Prinzipien (z.B. daß wir Menschen vom Göttlichen abhängig sind) „ever green“ sind. Das Alte Testament bietet uns eine lange Kette von Beispielen, die uns jedoch zugleich auffordern, unsere Mythen (die vom chronos abhängig sind) im kommenden Augenblick (kairos) hinter uns zu lassen und mit Abraham in das noch unbekannte Land aufzubrechen (Gen 12). Auf einmal handeln wir völlig anders - etsi dei non darentur (vgl. D. Bonhoeffer). Die Stimme des Psalmisten „trompetet“ klar und eindeutig: „O dass ihr heute seine Stimme doch höret: Macht eure Herzen nicht hart…“ (Ps 95,8).