Reflexionen über Rádl und Masaryk

Jan Patočka

Bei dem Text handelt es sich um die Niederschrift der Tonbandaufnahme eines privaten „Wohnungsseminars“, das im Herbst 1974 zum Andenken an den 100. Geburtstag von Emanuel Rádl veranstaltet wurde. Patočka geht von Masaryk und dessen gedanklicher Originalität aus, die allein Rádl ganz zu erfassen vermochte. Das gesamte tschechische Denken zwischen den beiden Weltkriegen wird durch seinen Bezug auf Masaryk bestimmt: entweder im Sinne blinder Nachfolge (die gesamte sog. Burg, z.B. Karel Čapek) oder der Kritik von den Positionen der radikalen Linken (z.B. B. Šmeral) oder der radikalen Rechten aus (z.B. J. Pekař). Lediglich Rádl kritisiert Masaryk in dem Bemühen, dessen Gedanken vertieft weiterzuführen. Diese Kritik Rádls führt zu einer grundlegenden Revision der gesamten Ideologie der Tschechoslowakischen Republik, sie blieb aber in der tschechischen Gesellschaft ungehört. Patočka unterstreicht die einzigartige Bedeutung der tschechischen Philosophie zwischen den Weltkriegen jedoch nicht im Blick auf Masaryks und Rádls philosophische Originalität, sondern wegen ihrer Fähigkeit, die Möglichkeiten der Philosophie in der modernen Gesellschaft aufzudecken.