Die Durchdringung der Perspektiven in Heraklits Seelenlehre

Hynek Bartoš

Die vorliegende Studie versucht, sich mit einigen Gesichtspunkten der Deutungstradition von Heraklits Lehre der Psyche auseinanderzusetzen und eine neue Erklärungsweise vorzuschlagen. Diese gründet in der Unterscheidung zweier unterschiedlicher Perspektiven unter denen sich Heraklits psychologische Ideen lesen lassen. Die erste Perspektive wird „projektiv“ genannt und ist auf unsere Umwelt konzentriert. Die Seele ist in dieser Auffassung eine der Komponenten der kosmischen Prozesse und sie muß als solche wie alles Seiende entstehen und vergehen. Die zweite Perspektive wird als „introspektiv“ bezeichnet, weil sie auf innerlichen Beobachtungen der eigenen Seele gründet. Von diesem „psychologischen“ Gesichtspunkt können wir nicht mehr von der Entstehung oder Untergang der Seele sprechen, da beide Momente Marksteine unserer eigenen Lebenserfahrung sind. In der Tat schließen sich diese Perspektiven jedoch keineswegs aus. Ganz im Gegenteil vervollständigen sie einander und können uns damit zu einem besseren und komplexeren Verständnis von Heraklits Seelenlehre verhelfen.