Der Piromis-Saal im ägyptischen Theben oder wo beginnt die griechische Geschichte

Sylva Fischerová

Griechische Philosophie, Geschichtsschreibung und Geographie haben eine gemeinsame Wiege, in der kleinasiatischen Ionia des sechsten Jahrhunderts v. Chr. Nach der Periode der griechischen Kolonisation und nach der gesellschaftlichen Rekonstruktion der hellenischen Welt traten hier eine Reihe von Denkern auf, die sich bemühten, die Welt in ihrer Einheit zu begreifen: ihre Physis durch den Logos. Geschichtsschreibung und Geographie entstehen aus dieser Einsicht in die Einheit der Oikumene (= eines damals bewohnten Landes) und aus dem Bestreben, ihre Ordnung im Raum und in der Zeit zu begreifen.

Hekataios von Milet wird allgemein für „den Vorläufer“ der Geschichtsschreibung gehalten, aber besser würde zu ihm der Titel „pater geographiae“ passen. Auf dem Gebiet der Geschichte verbleibt er nur in der Sphäre des Mythos, den er zu rationalisieren und zu kritisieren - wahrscheinlich zu machen - trachtet, womit er ihn aber vernichtet. Es scheint, daß dabei seine Reise nach Ägypten eine entscheidende Rolle spielte, insofern sie zur Erschütterung seines Glaubens an die heimatliche Tradition beitrug. Hierbei muss betont werden, daß der Einfluss Ägyptens auf das sich bildende Selbstbewusstsein der Griechen und auf seinen Platz in der Oikumene keinesfalls unterschätzt werden darf.

Der Weg zu einer wirklichen Geschichtsschreibung führt aber in eine andere, von Herodotos aufgezeigte Richtung, der dem Mythos einen neuen Sinn verlieh. Obwohl er wahrscheinlich aus der ionischen Tradition der Periegesis hervorging, wendet er sich nicht mehr dem Mythos, sondern der neueren Geschichte zu, wobei er die achaisch-troianische Antithese in den Gegensatz der Griechen und der barbarischen Perser verwandelte. Eine solche Geschichte läßt sich aber nicht nur more critico erfassen, man muss vielmehr ihren Sinn finden, und dieses Finden ist seinerseits von der Selbsterfassung des Menschenwesens und seiner Beziehung zur Göttlichkeit nicht zu trennen. Es scheint, daß auch Herakleitos und Platon ganz ähnlich argumentieren.