Das Mannigfaltige der Anschauung und die Gegenstände der Erfahrung

Jindřich Karásek

In dem vorliegenden Beitrag wird die Frage nach dem Verhältnis von zwei Beweisschritten in der Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe nach der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft erneut diskutiert. Dies geschieht deswegen, weil der Verfasser der Auffassung ist, daß in der langen Debatte um diese Frage, die mit Henrichs Aufsatz „The Proof-Structure of Kant’s Transcendental Deduction“ eröffnet worden war, ein text-analytischer und systematischer Zusammenhang unberücksichtigt blieb. Dabei werden zwei Thesen vertreten. Zunächst einmal ist das Verhältnis der beiden Beweisschritte zueinander neu zu bestimmen. Die diesbezügliche These besagt, daß diese Bestimmung anhand der Explikation der Dialektik des Anfangs und der Vollendung eines transzendentalen Beweises der objektiven Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe erfolgen kann. Sodann werden die Anmerkungen zu den § 15 bzw. § 16 und die Reflexionen des Duisburgschen Nachlasses herangezogen und die zentrale Stelle in der Argumentation des ersten Beweisschrittes dem § 19 mit seiner Urteilsdefinition zugesprochen. Anhand der Analyse dieser Texte wird die zweite These verteidigt, daß der erste Beweisschritt kraft der Entwicklung der im Begriff der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt liegenden Implikationen vollzogen werden kann, indem zunächst die erwähnte Entwicklung durchgeführt und im Anschluß daran gezeigt wird, wie anhand ihrer Ergebnisse der erste Beweischritt zu vollziehen ist. Der zweite Beweisschritt stellt nun die Anwendung des Ergebnisses des ersten auf die Gegenstände der Erfahrung dar, indem die Formen der Anschauungen als formale Anschauungen herausgestellt werden, d. h. als Vorstellungen, die selber ein Mannigfaltiges a priori enthalten und daher der einheitsstiftenden Funktion der Kategorien für ein Mannigfaltiges einer Anschauung überhaupt (der 1. Beweisschritt) bedürfen.