Die Natur der Seele und die "Natur des Ganzen" im Dialog Phaedros

Karel Thein

Volltext (PDF): Die Natur der Seele und die "Natur des Ganzen" im Dialog Phaedros (Zusammenfasung)

Der Artikel diskutiert die Behauptung des Sokrates, der zufolge es nicht möglich sei, die Natur der Seele ohne die Erkenntnis der Natur des „Ganzen“ richtig zu erfassen (270c1–2). Die Interpretation geht davon aus, daß der Begriff des „Ganzen“ hier die Gemeinschaft von Seele und Körper bezeichnet und nicht das Ganze des Universums. Die Lektüre richtet sich nicht nur auf den unmittelbaren Kontext dieser Behauptung, sondern auch auf die Tatsache, daß Faideos die Physis der Seele auf zwei verschiedenen Wegen erforscht, die beide eng mit der Frage des Ganzen und seinen Teilen verbunden sind. In der Palinodie des Sokrates gewährleistet die unteilbare und sich unaufhörlich bewegende Seele den Bestand des Universums im Sinne einer artikulierten Struktur. Die Natur der Seele beruht dann in ihrer Fähigkeit, Körper zu bewegen, d. h. in sie überzugehen und individuell zu beleben. Ohne Körper bzw. ohne Körperbild ist es nicht möglich, Tun und Erleiden der Seele darzustellen. Sokrates’ Sprache ist hierbei zweideutig, da sie zum einen ein Bild der Seele darstellt und – dadurch bedingt – andererseits die Seele für die Erforschung der Rhetorik thematisiert. Er stellt die Frage einer direkten kausalen Beziehung zwischen verschiedenen Sprechweisen mittels der Seele, die analog zu den Körperteilen als ein Ganzes von Teilen dargestellt wird. Das „Ganze“ , das in die Erkenntnis der Natur der Seele eintreten muß, ist dabei das Ganze der zusammengesetzten Seele, was zugleich ihre Verbindung mit einem individuellen Körper meint, nicht jedoch mit dem Körper des Universums.