Die neuplatonische reditio in se ipsum und die Konversion des Willens nach Augustinus

Václav Němec

Die sog. „Bücher der Platoniker“ eröffneten dem Augustinus nicht nur die neue Gedankenwelt der neuplatonischen Philosophie, sondern leiteten ihn auch auf den Weg der neuplatonischen Mystik, auf dem die Seele durch den Rückgang ins Innere zu ihrem göttlichen Grund aufsteigen kann. Dieser Weg des kontemplativen Aufstiegs führt jedoch nicht zu einer Auflösung des Dramas der Existenzverirrung, das Augustinus in seinen Bekenntnissen schildert. Die Entwirrung dieser „existentiellen“ Verwicklung kann erst eine andere Art der Umformung der Seele vollbringen, die Augustinus als eine Bekehrung im christlichen Sinne beschreibt. Diese genesende Transformation der Seele ist identisch mit einer Verwandlung des verkehrten und von der Begierde paralysierten Willens. Im Unterschied zur neuplatonischen Auffassung des Bösen begreift Augustinus nicht die Neigung zu den körperlichen Dingen als letzte Wurzel der Begierde, sondern das defekte Verhältnis zu sich selbst, das sich daraus ergibt, dass man zuviel Gefallen an sich selbst findet und sich infolgedessen durch die eigenen Willensintentionen vom höchsten Guten abwendet. Diese verkehrte Selbst-Beziehung setzt Augustinus mit der superbia gleich, die ihm zufolge nichts anderes als eine falsche Selbst-Erhöhung ist. Die christliche Bekehrung besteht nun darin, diese Haltung in ihr Gegenteil - die Demut (humilitas) - zu verwandeln. Als Vorbild dieser Umwandlung soll die Gottheit selbst dienen, die sich aus Liebe in der Inkarnation mitgeteilt hat. Eine Auflösung der existentiellen Verirrung bietet also nicht der kontemplative Aufstieg im neuplatonischen Sinne, sondern der demütige Abstieg vom Piedestal der verkehrten Selbst-Erhöhung, der die Bewegung der göttlichen Kenosis nachahmt. Während die Selbst-Erhöhung den Menschen tatsächlich erniedrigt, wird er durch die Selbst-Erniedrigung in der Demut erhoben, freilich nicht von sich selbst, sondern kraft der Wirkung der göttlichen Gnade im tiefsten Inneren der Seele. Obwohl die neuplatonische Philosophie laut Augustinus eine wahre Erkenntnis Gottes vermittelt, blieb ihr dieser wahre Weg zur menschlichen Glückseligkeit versperrt, weil sie das Geheimnis der Menschwerdung verkannte.